Ehrenbürgerrecht für Dr. Josef Schuster: Moralische Instanz mit Tatkraft

Mahner und Gestalter: Dr. Josef Schuster ist nun Ehrenbürger der Stadt. Bürgermeister Judith Roth-Jörg, Oberbürgermeister Christian Schuchardt und Bürgermeister Martin Heilig blicken beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt über die Schulter und zählen zu den ersten Gratulanten. Foto: Georg Wagenbrenner Mahner und Gestalter: Dr. Josef Schuster ist nun Ehrenbürger der Stadt. Bürgermeister Judith Roth-Jörg, Oberbürgermeister Christian Schuchardt und Bürgermeister Martin Heilig blicken beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt über die Schulter und zählen zu den ersten Gratulanten. Foto: Georg Wagenbrenner

Die höchste Auszeichnung der Stadt Würzburg, das Ehrenbürgerrecht,
verlieh Oberbürgermeister Christian Schuchardt im Namen des Stadtrats in
einem Festakt im Ratssaal des Würzburger Rathauses an Dr. Josef
Schuster: „Er ist ein Glücksfall für unsere Stadt und unser Land.“ Als
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland genieße Dr.
Schuster über Deutschland hinaus hohes Ansehen und zähle heute zu den
bekanntesten Würzburger Persönlichkeiten.

In Würzburg ist er spätestens seit er 1998 den Vorsitz der hiesigen
jüdischen Gemeinde übernahm, der zentrale Akteur, mit dem wichtige
Wegmarken des jüdischen Lebens verbunden sind. Die Gemeinde
verfünffachte durch die Zuwanderung der Kontingentflüchtlinge aus der
ehemaligen Sowjetunion in wenigen Jahren ihre Zahl auf heute wieder über
1000 Mitglieder. Diese enorme Integrationsleistung meisterte der Sohn
von David Schuster erfolgreich und füllte somit die großen Fußstapfen
seines Vaters aus, der die Familie - allen Nazimorden zum Trotz - 1956
aus Israel zurück nach Würzburg gebracht hatte und jahrzehntelang
Vorsitzender der wiederbelebten Gemeinde blieb und als Motor der
Aussöhnung unvergessen ist.

2006 beendete die Einweihung des Shalom Europa die drückende Raumnot
der stark gewachsenen Gemeinde. Diese Begegnungsstätte, die das jüdische
Leben und die lange Geschichte hier vor Ort repräsentiert, war Dr.
Schuster eine Herzensangelegenheit; wie auch der am Hauptbahnhof
realisierte DenkOrt Deportationen. Beides Orte mit Bedeutung über
Unterfranken hinaus.

Schuchardt würdigte die zahlreichen Funktionen, Ämter und Engagements
die der Internist, der bis 2020 noch seine eigene Praxis weiterführte,
mit Leben füllt. Jahrzehntelang engagierte er sich als Arzt ehrenamtlich
auch beim Bayerischen Roten Kreuz und in der Wasserwacht und ist bis
heute noch regelmäßig im Notarztdienst aktiv.

1998 wurde Josef Schuster Vizepräsident und ist seit 2002 Präsident des
Landesverbandes Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern. Bereits 1999
wurde er in das Präsidium des Zentralrates der Juden in Deutschland
gewählt. Ab 2010 war er Vizepräsident des Zentralrates und seit 2014
ist er als dessen Präsident der oberste Repräsentant von rund 100.000
deutschen Jüdinnen und Juden und zugleich Vizepräsident des European
Jewish Congress und des World Jewish Congress. Zusätzlich war er
zeitweise Mitglied der Bio-Ethik-Kommission der Bayerischen
Staatsregierung sowie der Zentralen Ethik-Kommission der
Bundesärztekammer und seit 2020 gehört er dem Deutschen Ethikrat an.
Er unterstützt zahlreiche Projekte wie das Jugendfestival „Jewrovision“
oder „Meet a Jew“, das Jugendlichen die Begegnung mit gleichaltrigen
Jüdinnen und Juden, die aus ihrem Alltag erzählen, ermöglicht. Es
sind solche Projekte, mit denen erreicht wird, dass jüdisches Leben als
Normalität, als Bereicherung und als integraler Teil unserer
Gesellschaft wahrgenommen wird.

Die Erinnerung an die Shoa wachzuhalten und sicherzustellen, dass
Politik und Zivilgesellschaft aus dem nationalsozialistischen Völkermord
die notwendigen Lehren auch heute ziehen, sei Dr. Schuster das zentrale
Anliegen, betonte Schuchardt in seiner Laudatio: „Sie sind aber mehr als
nur ein Mahner, und werden auch so wahrgenommen. Sie sind zentraler
Repräsentant eines lebendigen Judentums in Deutschland, das beim
Blick in die Geschichte seit langer Zeit das Land auf verschiedenste
Weise geprägt hat. An diese Kontinuität, an dieses Selbstverständnis
knüpfen Sie nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts an. Die Vielfalt
jüdischen Lebens einst, aber auch heute für möglichst viele Menschen
erlebbar zu machen, ist Ihnen ein echtes Herzensanliegen - auch weil Sie
überzeugt sind: Wer weiß, wie Juden glauben, feiern und leben, der ist
eher gefeit gegen antisemitische Vorurteile und Verschwörungstheorien.“

Schuchardt machte in seiner Laudatio deutlich, dass Dr. Schuster seine
stets sachliche, aber auch unmissverständliche Stimme generell bei
Diskriminierungen oder Angriffen auf Minderheiten erhebt, keinesfalls
nur im Kontext von Antisemitismus: „Das macht Sie zu einem besonders
glaubwürdigen Anwalt eines pluralistischen und weltoffenen, toleranten
und demokratischen Deutschlands.“

Vor vielen Festgästen aus der Politik, hohen Vertretern der Kirchen und
Glaubensgemeinschaften und mit der Familie in der ersten Sitzreihe
erklärte der neue Ehrenbürger welch ambivalenten Gefühle ihn an
diesem Tag begleiteten. Einen Tag nach der Wahl eines Landrats, der
einer zutiefst undemokratischen und antisemitischen Partei angehöre, sei
er sehr besorgt, freue sich aber gleichzeitig, dass in Würzburg eine
engagierte Bürgerschaft gegen den Besuch eines weiteren prominenten
AfD-Politikers zum Gedenktag am Barbarossaplatz ein starkes Zeichen
setzte.

In einem kurzen geschichtlichen Abriss, machte er deutlich, dass die
Wurzeln des jüdischen Lebens in Würzburg viele Jahrhunderte weiter
zurückreichen als in die Zeit des Nationalsozialismus und der Shoa.
Dieser komprimierte Rückblick zeigte, dass man nicht nur einmal in der
Geschichte Würzburgs in schwierigen Zeiten einen Sündenbock suchte und
diesen wie beispielsweise bei den Hep-Hep-Krawallen 1819 und früheren
Pogromen in der jüdischen Bevölkerungsminderheit fand. Die jüdische
Geschichte zeige aber auch, dass man Gräben überwinden könne, dass die
Religionen heute zu einem guten Miteinander gefunden haben. Nach seiner
Rede erhoben sich die Gäste im Saal und bedachten den neuen Ehrenbürger
mit viel Applaus. Dr. Schusters Ernennung zum Ehrenbürger ist die erste
Auszeichnung seit Barbara Stamms Würdigung 2019. Aktuell hat neben ihm
nur Rosemarie Ruppert diese höchste Auszeichnung inne.

Die Überreichung der Ehrenbürgerwürde wäre nicht komplett ohne eine
Reihe von besonderen Ritualen: So trug sich Dr. Schuster mit den Worten
„Meiner Heimatstadt mit Dank für die erwiesene große Ehre“ in das
Goldene Buch der Stadt Würzburg ein. Anschließend folgte der Ehrentrunk
aus dem Riemenschneider-Becher: eine besondere Riesling-Auslese von
2018. Die musikalische Umrahmung des Abends besorgte Catharina Mothes
mit Harfenstücken von Johann Ladislaus Dussek, Georg Friedrich Händel
und Marcel Georges Lucien Grandjany. Im Foyer ging der Abend bei einem
Stehempfang zu Ende.




Höchste Auszeichnung der Stadt Würzburg: Oberbürgermeister Christian
Schuchardt und Dr. Josef Schuster. Foto: Georg Wagenbrenner

Last modified on Dienstag, 27 Juni 2023 13:07
Aytürk

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