Noch immer sind die Sorgen der Angehörigen und Opferfamilien nicht gestillt. Die rechtsextremistischen, islam- und türkenfeindlichen Morde von Hanau waren nur ein Höhepunkt einer schrecklichen Serie von Angriffen auf vermeintlich fremd wirkende aber schon seit Jahrzenten heimisch gewordene Menschen in unserem Land. Die muslimfeindlichen Anschläge auf Moscheen, Gemeindehäuser und Friedhöfe, xenophobe Übergriffe auf Personen mit Einwanderungsgeschichte, der Anschlag von Halle, der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die NSU-Mordserie oder die Brandanschläge von Solingen und Mölln führen uns immer wieder vor Augen, wie weit der menschenverachtende Rassismus in die Mitte der Gesellschaft Zugang findet. Es schmerzt uns außerdem, dass die islamfeindlichen Motive des Täters teilweise relativiert werden. Es schmerzt uns, wenn fast immer von „Einzeltätern“ die Rede ist und selten eine gemeinschaftliche Verantwortung übernommen wird.

Das Attentat von Hanau war ebenso ein Angriff auf Deutschland. Es war ein Angriff auf die gemeinsamen Werte, auf das gesellschaftliche Miteinander und den Frieden. In Hanau verloren Eltern ihre Kinder. Söhne und Töchter verloren ihre Mütter und Väter. Geschwister, Verwandte und Freunde waren plötzlich nicht mehr da. Nachbarn, Vereins- und Arbeitskollegen verloren ihre Freunde. Denjenigen, die mit Ängsten und Gewalt unsere freie Gesellschaft spalten und unser demokratisches System aushöhlen wollen, dürfen wir keine Chance geben. Wir müssen auch in Zukunft wachsam bleiben: Denn Neo-Nazis, rechte und linke Rassisten entwickeln sich nicht urplötzlich zu Verbrechern. Sie haben ein soziales, berufliches und familiäres Umfeld. Sie sind Mitglieder in Vereinen und Organisationen. Sie kommen nicht nur aus den Rändern, sondern nicht selten auch aus der gesellschaftlichen Mitte. Und um diese Mitte müssen wir uns als demokratische Gesellschaft sorgen. Diese Mitte dürfen wir nicht den Spaltern überlassen. Wir müssen uns stärker denn je um die freiheitlich-pluralistischen Werte unserer Allgemeinheit, um Frieden, Zusammenhalt und Akzeptanz bemühen und diese gegen jegliche Extremisten von links und rechts schützen.

Seit Jahren mahnen migrantische oder muslimische Organisationen vor der stetig wachsenden Zahl von Drohungen, Angriffen und Diskriminierungen. Die statistisch erfassten Zahlen, die bei Weitem nicht das wahre Ausmaß der Übergriffe, Gewalttaten, Beleidigungen oder Schmähungen zeigen, dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Das Unheil wird unaufhörlich vorausgesagt, findet jedoch oftmals wenig Gehör. Diese „Kassandrarufe“ müssen endlich ernst genommen werden. Nachhaltige staatliche und zivile Projekte im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus sind nötiger denn je. Schließlich dürfen die Opferangehörigen nicht allein gelassen werden. Wir nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, dass sowohl Politik als auch Ermittlungsbehörden ihrem Versprechen nach einer lückenlosen Aufklärung selten nachkommen. Dieses fahrlässige Verhalten führt bei vielen Opferfamilien zur Frustration. Deshalb erwarten wir von den verantwortlichen Stellen mehr und vor allem ernsthaftes Engagement.